Brief an OB Bernd Doll vom 01.04.1990

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Bernd,
gerne komme ich Deiner Aufforderung nach, einen Vorschlag für die Gestaltung einer Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Psycha zu unterbreiten.

  1. Ohne die Aufgaben der gewählten Gremien, Gemeinderat und Ältestenrat, in Frage stellen zu wollen, könnte ich mir vorstellen, das Thema Gedenken der jüngeren Vergangenheit in einer breiten Diskussion in der Bevölkerung aufzuarbeiten. Eine solche Diskussion, die in der Sache durchaus kontrovers geführt werden kann, könnte viel zur Weiter-Entwicklung des lokalen Geschichtsverständnisses beitragen.
  2. Die Gestaltung von Gedenkstätten sollte konsensfähig sein. Beim Gedenken der Opfer der NS-Zeit darf sich nicht nur die politische Mehrheit der Stadt wiedererkennen. Diese Themen taugen nicht für Mehrheitsentscheidungen, sofern in der Sache qualifizierte Minderheiten auftreten. Auch aus diesem Grunde schlage ich vor, vor der endgültigen Entscheidung über die Gedenkstätte der NS-Richtstätte der Diskussion im Ältestenrat eine breite öffentliche Diskussion, zumindest in einer Sitzung des Gemeinderates, folgen zu lassen. Nebenbei bemerkt: Kritische, offene und kontroverse Diskussionen vor einer Entscheidung sind allemal sinnvoller als Kritik an einer Entscheidung und spätere Rechtfertigung, die im stillen Kämmerlein getroffen wurde.
  3. Neben einer Gedenkstätte für die Opfer der ehemaligen NS-Richtstätte, die nach meiner Vorstellung direkt am Standort der Guillotine ihren Platz haben sollte, bietet sich das Innere des Bergfrieds für eine ausführliche Aufarbeitung der Geschichte dieses Platzes von den Bauernaufständen und der Hinrichtung Eisenhuts über die 1848-Revolution bis zur NS-Zeit mit Wehrmachtsgefängnis und Richtstätte an. Ich stelle mir vor, im Innern des Bergfrieds aus wetterfestem Material zu den einzelnen Epochen entsprechende Schautafeln anzubringen. Besonders mit Schulklassen wäre dann die Möglichkeit gegeben, eine lokale Geschichtsstunde mit dem Besteigen des Bergfrieds und einem Rundblick über die Stadt zu verbinden.
  4. Außen am Bergfried könnte mit einer einfachen Schrifttafel auf die Vergangenheit des Areals als Gefängnis mit seinen o.g. vielfältigen historischen Bezügen hingewiesen werden.
  5. An allen historisch interessanten Plätzen, Gebäuden und Straßenschildern etc. in der Stadt könnten in den nächsten Jahren kleine Hinweistafeln mit einigen Grundinformationen angebracht werden. Somit könnte ein historischer Stadtrundgang geschaffen werden. Ein entsprechender historischer Stadtplan könnte für Fremde und Einheimische als Wegweiser zu diesen Punkten dienen. Die gute Vorarbeit der Friedeninitiative mit ihrer „Alternativen Stadtrundfahrt“ möchte ich in diesem Zusammenhang nicht unterschlagen.
  6. Die Namensgebung der Säle des Bürgerzentrums sollte wirklich noch einmal überprüft werden. Es steht einer Stadt gut an, auch einmal eine Fehlentscheidung einzugestehen. Was die Herren Ehrenberg und Rechberg mit einem „Bürger“-Zentrum des 20. Jahrhunderts gemein haben sollen, kann wohl nicht vermittelt werden. Ich möchte es jedenfalls keinem zumuten, diese historischen Bezüge herstellen zu müssen. Ich schlage erneut Brentano und Eisenhut vor.
  7. Im Mai 1999 steht das 150-jährige Gedenken an die Revolutionsereignisse von 1848 an, außerdem das 50-jährige Bestehen des Grundgesetzes. Dass im November 1999 auch die DDR-Revolution ihr erstes rundes Jubiläum feiert, sollte heute schon in den Zusammenhang der anderen Daten gestellt werden. Deshalb sollte die Stadt auf alle Fälle die lokale Geschichte der bürgerlichen Revolution des letzten Jahrhunderts aufarbeiten und 1999 zusammen mit dem 50-jährigen Grundgesetz-Jubiläum und dem 10-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung kritisch beleuchten und ausgiebig feiern. Ich denke an Vorträge, Diskussionen, Publikationen, eine Ausstellung, Theateraufführungen und Musik-Veranstaltungen, jeweils zu allen Themen (1848, Grundgesetz, DDR). Das gäbe ein lohnenswertes Bürger-Festival im Bürgerzentrum. Damit könnte man auch die Feiern zur Jahrtausendwende mit Inhalten versehen.
  8. Zur Aufarbeitung dieser und anderer historischer Themen schlage ich die Vergabe eines jährlichen Historiker-Stipendiums durch die Stadt vor. In Zusammenarbeit mit einer Historischen Fakultät könnte eine Magisterarbeit oder eine Doktorarbeit mit einem Betrag zwischen 5.000 und 10.000 DM (oder mit Sachmitteln, Reisekosten etc.) gefördert werden. Das Thema sollte sich mit einer Fragestellung der Lokalgeschichte befassen. Die Auswahl unter möglichen Bewerbern könnte in einem Beirat gefällt werden. Die Arbeiten könnten von der Stadt Bruchsal als beispielhafte Buch-Reihe herausgebracht werden.
  9. Bei der Vergabe von Straßennamen sind zunächst einmal bevorzugt historische Aspekte zu berücksichtigen, wobei es nach meiner Meinung unzulässig ist, bei Straßenbenennungen eine historische Bewertung der Leistung der Personen vorzunehmen. Man kann einem Hecker eine Straßenbenennung in einer badischen Stadt doch deshalb nicht verwehren, weil seine Rolle in der Revolution umstritten ist. Ist etwa die Rolle eines Bismarck als Deutscher Kanzler nicht auch in vielen Fragen sehr umstritten? Also sollten Hecker, Struve, Blind, Bellosa, Hetterich, Brentano u.a. möglichst bald eine Straße in Bruchsal bekommen. Ebenso einige der Hingerichteten der NS-Zeit. Zumindest bei den Urteilen des Volksgerichtshofes, die Widerstandshandlungen z. Bsp. Bei Elsäßern zum Gegenstand hatten, dürfte einen Namensgebung nicht strittig sein. Ich hätte auch nichts dagegen, den einen oder anderen Volksschädling, zum Beispiel den Sinto Reinhard, mit einer Straßenbenennung zu ehren. Das wäre eine Art moralischer Wiedergutmachung der an den Sinti begangenen Verbrechen während der NS-Zeit
  10. Die Historische Kommission sollte sich öffnen für kontroverse Diskussionen. Sie sollte ein Forum kritischer Diskussionen werden, so etwas wie eine Moderatoren-Rolle für historische Gespräche übernehmen. Geschichtsbetrachtungen sind nun mal hin und wieder kontrovers. Die Historische Kommission sollte zu ihren Veranstaltungen öffentlich einladen. Bis jetzt ist die Historische Kommission eine geschlossene Gesellschaft von Leuten, die vom Gemeinderat berufen wurden. Einige Geschichts-Diskussionen der vergangenen Jahre (Bsp. Disput OB/IG-Metall) zeigen, dass die Mitgliederstruktur der Historischen Kommission nicht alle gedanklichen Strömungen der Bevölkerung umfasst. Also: Öffentlichkeit in der Historischen Kommission. Mittelfristig wäre zu prüfen, die Historische Kommission „verwaltungsfern“ und „gemeinderatsfern“ zu organisieren, um sie so zu einem politisch unbeeinflussten Gremium offener Diskussion und Forschung zu machen.
  11. Das Stadtarchiv sollte sich in den nächsten Jahren möglichst viele Akten über Bruchsal in der NS-Zeit in Kopie aus anderen Archiven beschaffen. Zumindest wäre es sinnvoll, in anderen Archiven zu forschen und ein entsprechendes Findbuch aufzustellen, in dem nach und nach alle Aktenfunde aus anderen Archiven (in der Hauptsache Koblenz und Karlsruhe, aber auch andere) katalogmäßig aufgezeichnet werden. Das Stadtarchiv wäre hierzu mit den entsprechenden Mitteln auszustatten

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