Unkonventionelle Gedanken zum einem Gedenktag
Auf Heimatkunde-TV haben wir vor wenigen Tagen dieses Video veröffentlicht, das natürlich zum heutigen Tag, dem 1. März, passt: Brentano und der 1. März
Die zu erwartende Diskussion über diesen Beitrag hat erfreulicherweise begonnen und soll auf dieser Webseite fortgesetzt werden. Dazu bitte die Kommentar-Funktion am Ende dieser Seite benutzen.
Dieser Stellungnahme erreichte mich gestern per email. Ich denke aber, dass der Text danach verlangt, veröffentlicht zu werden, wobei ich selbstredend den Autor, einen guten Bekannten von mir, nicht nenne. Hier seine Anmerkungen in Original-Kopie seiner E-mail:
„Hallo Rainer,
ich habe mir dein Video angeschaut und war doch überrascht, wie du manche Personen wie Lorenz Brentano hoffierst.
Es gab Revolutionen, deren Ursachen in sozialen und gesellschaftlichen Mißständen lagen. Dazu gehörte die franz. Revolution, die von der Masse des Volkes unterstützt wurde, unzählig viele Opfer forderte, von Napoleon dominiert wurde und zu einer Neuordnung Europas führte. Der Feudalismus wurde in seiner Machtbefugnis eingeschränkt, die Säkularisation durchgeführt und der Code Civile, der noch heute Bestand hat, etabliert.
Nach der Neuordnung Badens 1806, dank der Vermittlung Reitzensteins, wurden Strukturen geschaffen , die noch heute unsere Region prägen. Der Großherzog in Karlsruhe wurde als Prinzeps definiert. Nebenius hat eine Verfassung geschaffen, Amts- und Landgerichte und ein Parlament mit 2 Kammern etabliert. Das war für die damalige Zeit außergewöhnlich.Das Land Baden wurde geographisch vermessen ,um Eigentumsstrukturen zu klären. Das gab es sonst niergendwo. Technische Hochschule, Eisenbahendirektion, Postdirektion in K,he waren Zeichen des technischen Vortschritts.
Alle Bevölkerungsschichten, einschließlich der Juden, hatten freie Aufenthaltsmöglichkeiten und freie Berufswahl.
Im Vorfeld der 1848 Revolution war die Unzufriedenheit der Bevölkerung nur marginal. Die Summe der Menschen,die einen Umbruch anstrebten, war gering. Für eine Republik war die Zeit nicht reif. Selbst Mißernten 47 / 48 konnten die Revolution nicht beflügeln.
Die Macher , wie Brentano, Struwe und Hecker waren in ihrem Handeln unkoordiniert und ziellos. Die allgemeinen Forderungen nach Bewaffnung der Bürgerwehren war orientierugslos. Die Militärrevolten waren von plebiszitären Forderungen in den Garnisonen von Rastatt und Bruchsal und dort insbesondere in den Gasthäusern probagiert worden.
Brentano war wohl ein redegewandter Schöngeist, der schlecht organisieren konnte. Sein Scheitern und seine Flucht waren unausweichlich.
Brentano mit dem Logo „Freiheit und Demokratie“ gleichzustellen, erachte ich als vermessen, und es dient nicht der Verifizierung der Geschichte.
Herzliche Grüße„
Hier meine Antwort:
„Vielen Dank für Deine Reaktion, das meine ich ehrlich, denn immerhin gibt es jetzt einmal den Ansatz einer Diskussion. Allerdings wäre es im Sinne einer Diskussionskultur, wenn dies in der Öffentlichkeit geschehen könnte. Ich werde der Stadtgesellschaft dazu in Kürze Vorschläge unterbreiten. Vielleicht ergibt sich jetzt dann endlich einmal die Chance, dieses Thema – wie auch andere – in einer offenen Diskussion in den Mittelpunkt der historischen Diskussion zu stellen. Gerade vor dem anstehenden Schloss-Jubiläum wäre diese Diskussion als Ergänzung wichtig.
Allerdings denke ich, dass ich nicht der erste Ansprechpartner für Deine Anmerkungen bin. Ich habe den Clip konzipiert, moderiert, produziert, geschnitten und gepostet. Inhaltlich hat der Historiker Jürgen Dick den fachlichen Hintergrund geliefert und auch ausführlich erklärt. Jürgen Dick ist Spezialist für die 48/49-er Zeit. Er hat kürzlich im Kiwanis-Club in Bruchsal einen Vortrag zu diesem Thema gehalten. Ich denke, er wird sich zu Deinen Anmerkungen dann direkt äußern.
Als Hintergrund für Dich habe ich aus dem Buch „Furchtbare Juristen“ von Ingo Müller (erschienen 1987) das Vorwort von keinem Geringeren als Prof. Martin Hirsch (ehemals Richter am Bundesverfassungsgericht) angefügt. Ich habe mich in meinen Büchern „Seilersbahn“ und „Elternstadt“ ebenso in meinem Film „Seilersbahn“ auf dieses Buch bezogen und denke, dass es die Grundaussage unseres Heimatkunde-Clips bestätigt.“
Auf eine rege – durchaus auch kontroverse – Beteiligung an der Diskussion auf dieser Webseite, die hiermit eröffnet ist, freuen wir uns. Wir wünschen uns den offenen Diskurs in aller Öffentlichkeit. Die Kommentar-Funktion steht daher allen offen, wenn die Regeln einer fairen Streitkultur eingehalten werden. Wir bitten allerdings, auf Pseudonyme zu verzichten und den Klarnamen zu nennen.
Und hier noch die Scans aus dem Buch von Ingo Müller.
Mich wundert wirklich dieser geschichtsklitternde E-Mail-Kommentar. Ob der Autor recht haben könnte mit seiner Darstellung der Ereignisse 1848/49? Wohl eher nicht. Die Mehrzahl der Geschichtswissenschaftler ist ganz anderer Ansicht als dieser anonyme Autor. Man sollte sich vielleicht, bevor man einem Hobbyhistoriker das Ohr oder hier das Auge leiht, lieber mal schauen, was einer unserer Bundespräsidenten, in diesem Falle Horst Köhler, zur 1848er Revolution zu sagen hatte. Die abwertende Darstellung der Revolution durch den Verfasser der E-Mail wird in der Rede von Bundespräsident Horst Köhler vom März 2009 ad absurdum geführt. Anders als der E-Mail-Schreiber verweist Köhler auf das, was diese Revolution für unsere heutige Demokratie bedeutet, nämlich: „1848 – Erbe und Verpflichtung“. Ohne 1848 gäbe es unser demokratisches Gemeinwesen nicht, so wie wir es heute kennen. Ohne Vorkämpfer wie Brentano und dessen demokratischen Mitstreiter gäbe es nicht unsere Verfassung, die 1949 beschlossen wurde: unser Grundgesetz.
Köhler betont unter anderem: „Umso höher sollten wir zu schätzen wissen, was seit 1949 erreicht worden ist. In unserer freiheitlichen Demokratie und in der alle Lebensbereiche prägenden Geltung der Grundrechte sind die zentralen Bestrebungen von 1848 verwirklicht.“ Und Horst Köhler stellt diese Forderung: „Wir sollten die Erinnerung an diese Vorgeschichte unserer Freiheit viel stärker pflegen. Warum sind bei uns so wenige Straßen und Plätze nach den Männern von 1848 benannt, nach Beseler und Gagern und Simson und Welcker, nach Kinkel und Dahlmann und Unruh und Blum? Wann wird das Leben von Carl Schurz verfilmt, das doch spannender war als mancher Roman“. Leider schließt sich der Schreiber der E-Mail dieser hochdemokratischen Forderung unseres früheren Bundespräsidenten nicht an, sondern stellt konsequent die Revolution 1848/49, die Revolutionäre und die in der Paulskirche gefassten Beschlüsse in Frage und wertet diese ab. Ich tue mich wirklich schwer, mich auf solches Gedankengut einzulassen, zumal es in wesentlichen Punkten der Historie nicht entspricht.
Hier die Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler aus Anlass des 160. Jahrestages der ersten deutschen Verfassung : https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2009/03/20090327_Rede.html
In dem Bericht des anonymen Schreibers gibt es schon einige fehlerhafte Darstellungen. Hier nur als ein Beispiel: In Zusammenhang mit der „Neuordnung Badens 1806“ wird geschrieben, „Alle Bevölkerungsschichten, einschließlich der Juden, hatten freie Aufenthaltsmöglichkeiten und freie Berufswahl“. Das ist so falsch. 1820 hat der Oberrat eine Eingabe für die rechtliche Gleichstellung der Juden gemacht, 1831/46 gab es weitere jüdische Eingaben für die Emanzipation. Tatsächlich schlug der hier so angefeindete Lorenz von Brentano im Februar 1848 die Gleichstellung der badischen Juden vor. Im März und April 1948 gab es an dreißig badischen Orten heftige Ausschreitungen gegen Juden: Diese wurden von den Krakeelern gezwungen, auf die Ortsbürgerrechte zu verzichten. Friedrich (Fritz)Hecker, Itzstein, Soiron, Mathy und Fr. Bassermann protestierten gegen die Übergriffe auf die badischen Juden. Dies mündete in eine Petitionswelle 1859 für Gleichstellung. Die Zeit schien reif, denn es herrschte inzwischen ein neuer politischer Geist in Baden, die restriktive politische Reaktion auf die revolutionären Ereignisse der Badischen Revolution war überwunden. Erst 1862 wurden die Ungleichheiten abgeschafft und Normen für die Lokaleinbürgerung fest gelegt. Allerdings hatte sich gegen die Gleichstellung der Juden insbesondere im ländlichen katholischen Südbaden im Frühjahr 1862 heftiger Widerstand formiert. Als Ergebnis der neuen Freizügigkeit 1862 verstärkte sich die Landflucht unter den Juden. Die Zahl der Juden in den Städten stieg an. Es ist also falsch, die Gleichstellung der badischen Juden im Jahre 1806 zu verorten.