Ludwig Haas und Ludwig Marum – zwei frühere Bruchsaler Gymnasiasten als Leitfiguren der Demokratiegeschichte

Vortrag der Historikerin Dr. Monika Pohl eröffnet neue historische Perspektiven für Bruchsal

Die Person Ludwig Marum ist derzeit in Bruchsal in vieler Munde, nachdem die Badische Landesbühne ihn kürzlich in dem Theaterstück von Hajo Kurzenberger „Ludwig Marum – Der Mann des Rechts“ aus der historischen Versenkung geholt hat. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Marum Ende des 19. Jahrhunderts im Bruchsaler Schloss-Gymnasium, dem Vorläufer des heutigen Schönborn-Gymnasiums, sein Abitur ablegte, bevor er Jura studierte.

In der vergangenen Woche hat die Karlsruher Historikerin Dr. Monika Pohl in einem Vortrag für die Fernuniversität Hagen, der auch online übertragen wurde, jetzt auch einen zweiten früheren Schüler dieses Gymnasiums gewürdigt, der dort etwa ein Jahrzehnt vor Ludwig Marum sein Abitur machte, bevor auch er Jura studierte: Ludwig Haas.

Und beide wurden später bedeutende Politiker in Baden und im Berliner Reichstag, von denen die Referentin eingangs erklärte: „Sowohl Haas als auch Marum können als Leitfiguren des demokratischen Lagers ihrer Zeit gelten.“

Es gäbe wohl kaum zwei Politiker, die so viele Parallelen in ihrem Lebenslauf zu verzeichnen hätten wie Haas und Marum, erklärte die 2. Vorsitzende des Karlsruher Forums Ludwig-Marum e.V., denn beide Ludwigs waren jüdischer Abstammung und gehörten zu bürgerlichen Kaufmanns-Familien. Beide waren Schüler des Bruchsaler Großherzoglich-Badischen Gymnasiums, studierten dann Jura und waren Mitglieder derselben jüdischen Studentenverbindung Badenia in Heidelberg, die das Judentum selbstbewusst gegen die antisemitischen Studentenkorporationen verteidigte. Beide führten später in Karlsruhe erfolgreiche Anwaltskanzleien – Ludwig Haas seit 1902, Ludwig Marum seit 1908 -, bevor sie in die Politik eintraten. Beide waren als Repräsentanten des assimilierten jüdischen Bildungsbürgertrums bestens in die deutsche Gesellschaft, vor allem in die Karlsruher Stadtgesellschaft integriert und „hegten eine Leidenschaft für die Politik, den Willen zur politischen Mitgestaltung“. Über den Karlsruher Stadtrat führte ihre jeweilige politische Karriere dann über die Badische Ständeversammlung in den Reichstag von Berlin, schließlich zur Weimarer Nationalversammlung.

Die wesentlichen Unterschiede der beiden: Ludwig Marum war Mitglied der Sozialdemokraten, Ludwig Haas war bei den Liberalen. Und damit waren sie in politischen Lagern, die sich eigentlich spinnefeind gegenüber standen. Die beiden Rechtsanwälte aus Karlsruhe aber setzten sich in ihren jeweiligen Parteien aber für eine Überwindung dieser Grenzen ein und für eine Art erster „sozialliberaler Parteien-Koalition“ in der Geschichte Deutschlands. Ludwig Hass sagte dazu: „Unsere wirtschaftliche Existenz, die Entfaltung unserer Industrie, die Lage der Arbeiterschaft, der demokratische Ausbau Deutschlands, die Freiheit der Kunst, der Wissenschaft und der Religion, alles hängt davon ab, ob der Liberalismus und die Arbeiterdemokratie den taktischen Anschluss aneinander finden.“ In dieser Einstellung traf er sich mit Ludwig Marum, der innerhalb der Sozialdemokratie für den Weg der Reformen eintrat und anstelle des Klassenkampfes das Bündnis mit bürgerlich-demokratischen Kräften suchte. Marums Credo: „Wir Sozialdemokraten sind keine Materialisten, sondern Idealisten, Menschen, die einem Ideal nachjagen. Freiheit, Gerechtigkeit und Brot sind unsere Ziele.“

Beide Politiker waren ein Glücksfall für Baden, wo es recht früh zu einer ersten Zusammenarbeit zwischen Liberalen und Sozialdemokraten kam im so genannten „Großblock“, einem gegen das Zentrum gerichteten erfolgreichen Wahlbündnis. Dr.  Monika Pohl bewertete dies so: „Diese neue Parteien-Konstellation und ihr gefundener Konsens erregte Aufmerksamkeit über die Grenzen Badens und stellte das weitest reichende politische Reformexperiment vor dem 1. Weltkrieg dar.“ Haas und Marum, erklärte sie, könnten als Repräsentanten dieses neuen Weges gelten, die in einem historischen Schlüsselmoment ihre Karriere antraten und trotz langwährender Spannungen zwischen ihren Parteien, einer sehr verschiedenen Interessenslage und großer ideologischer Unterschiede sich aufeinander zubewegten und von dem Willen beseelt waren, der Demokratie mit Hilfe eines engen Bündnisses von fortschrittlichem Bürgertum und gemäßigter Arbeiterschaft zum Durchbruch zu verhelfen. Eine historische Erkenntnis, die man in Bruchsal und vor allem im Schönborn-Gymnasium bislang kaum kannte.

Eine besonders wichtige Epoche in der Geschichte dieser beiden politischen Führer war die November-Revolution von 1918/19. Da gelang Haas und Marum, so die Referentin, ein besonderes Bravourstück einer neuen Politik, das „Baden zu einem Ausnahmefall deutscher Revolutionsgeschichte machte“. Während am 9. November im Reich spontan die Republik ausgerufen wurde und sich die beiden Linksparteien die Macht mit den Soldatenräten teilten, war Haas und Marum an einer überschaubaren, friedlichen Gestaltung des Übergangs vom monarchischen Obrigkeitsstaat zur Republik gelegen, die sie im Konsens zwischen bürgerlich-demokratischen Kräften und der gemäßigten Arbeiterschaft zu regeln suchten. Es kam unter der Führung der beiden zur Bildung einer vorläufigen badischen Volksregierung auf der Basis eines breiten Bündnisses, das von der USDP bis zu den Nationalliberalen reichte. Haas übernahm in der elfköpfigen Regierung den Posten des Innenministers, Marum den des Justizministers. Das Fazit von Monika Pohl: „Die von Haas und Marum eingeleitete Weichenstellung in der Bündnispolitik, der früh getroffene Klassenkompromiss im Südwesten verschaffte den beiden Politikern einen herausragenden Platz in der Demokratiegeschichte des Landes. Sowohl Haas als auch Marum hatten mit ihrem besonnenen und ausgleichenden Kurs in der revolutionären Übergangsphase dazu beigetragen, das Land zu stabilisieren und die Tragfähigkeit des Klassenkompromisses unter Beweis zu stellen.“

In ihrem Vortrag skizierte die Referentin auch den weiteren politischen wie privaten Lebenslauf der beiden Protagonisten der frühen deutschen Parteien-Demokratie, natürlich auch das schreckliche Ende von Ludwig Marum und seine Ermordung im KZ Kislau. Ein Schicksal, das Ludwig Haas erspart geblieben ist, denn er verstarb am 2. August 1930 nicht einmal 55-jährig in Karlsruhe. Nicht auszuschließen, dass er im Jahr 1934 auch Opfer des NS-Terrors geworden wäre und in der berüchtigten Schaufahrt von Karlsruhe nach Kislau neben Marum auf der LKW-Ladefläche hätte sitzen müssen. Diese demütigende Fahrt führte auch durch Bruchsal, die Stadt, in der beide – Haas wie Marum –  Volksschule und Gymnasium besuchten, bevor sie sich der Juristerei und danach der Politik verschrieben haben. Ein neues, bisher unbekanntes Kapitel in der Demokratiegeschichte von Bruchsal, Baden und ganz Deutschland.

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