Antwort des Historikers Jürgen Dick zur Stellungnahme
Die Zustände im Großherzogtum Baden waren vor Ausbruch der Revolution längst nicht so rosig, wie in Ihrer Stellungnahme dargestellt. Daher einige Klarstellungen:
(Grundlage: Hrsg. Landeszentrale für Politische Bildung: badische Geschichte. Vom Großherzog bis zur Gegenwart, 2. Aufl. Stuttgart 1987, dort Artikel: Lothar Gall, Gründung und politische Entwicklung des Großherzogtums bis 1848, S. 11-36 und Franz X. Vollmer, Die 48er Revolution in Baden.)
1. Die Gründung des Großherzogtums Baden in Folge des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 war in der Tat das Werk des Freiherrn Sigismund von Reitzenstein und „von Napoleons Gnaden“. Sie bedeutete eine erste Modernisierung der absoluten Monarchie im Sinne eines „aufgeklärten Absolutismus“. Der Preis war – das ist die Kehrseite der Medaille – u.a. die Abstellung von 7000 badischen Untertanen für den Russlandfeldzug, von dem die wenigsten zurückkamen.
Da der neue Staat bei der Bevölkerung unpopulär war, wurde unter Finanzrat Karl Friedrich Nebenius eine Verfassung geschaffen, die für die damalige Zeit als fortschrittlich galt und dem deutschen Frühkonstitutionalismus zuzurechnen ist. Ihr Ziel war aber in erster Linie „die Sicherung der Macht des Staates in seiner bestehenden Form, nicht etwa die Idee fortschreitender Selbstbestimmung seiner Untertanen im Interesse politischer Mündigkeit“. (vgl. Gall, s.o. S. 29).
2. Zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit gab es einerseits Differenzen, anderseits waren weitgehendere liberale Forderungen noch nicht erfüllt. Und es gab zunehmend soziale Probleme. Im Einzelnen:
- Die in Aussicht gestellte Pressefreiheit wurde nicht gewährt. Stattdessen herrschte bis zum Ausbruch der Märzrevolution von 1848 eine konsequente Pressezensur. Andere Grundrechte wie Meinungs-, Versammlungsfreiheit etc. waren noch nicht garantiert.
- Auf dem Lande herrschten in einigen Regionen noch spätfeudale Zustände. Die endgültige Abschaffung erfolgte erst durch den Druck der Märzrevolution von 1848. Der z.T. bereits erfolgte Loskauf von den alten Verpflichtungen hatte zur massenweisen Verarmung von kleinen Grundbesitzern geführt.
- Es gab noch keine konsequente Gewaltenteilung, was Lorenz Brentano als Abgeordneter der zweiten Kammer der Ständeversammlung zum Anlass nahm, einen Gesetzesantrag zur richterlichen Unabhängigkeit zu stellen.
- Die von Ihnen erwähnte Hungerkrise von 1846/47 hatte tatsächlich erhebliche Unruhen zur Folge. Die sog. Brotkrawalle wurden z.T. von Militär unterdrückt. Diese Krise trug zu einer wesentlichen Destabilisierung des gesellschaftlichen und politischen Lebens bei. Außerdem führte sie zu einer ersten Auswanderungswelle nach Übersee.
- Auch die Juden waren längst nicht so frei, wie von Ihnen behauptet. Noch Anfang 1848 gab es Judenverfolgungen, auch in Bruchsal, was von Brentano in der politischen Diskussion kritisiert wurde.
3.Dass die Demokraten in der Bevölkerung Badens breiten Zuspruch hatten, zeigt das Ergebnis der Wahl zur Frankfurter Nationalversammlung von 1848, bei der die radikalen Demokraten in Baden eine deutliche Mehrheit bekamen. Insbesondere die Handwerker, vor allem die vielen arbeitslosen Gesellen, radikalisierten sich und liefen im Jahre 1849 massenweise zu den Demokraten über.
4. Es trifft zu, dass die ersten Aufstände von Hecker und Struve noch schlecht vorbereitet waren und daher von dem noch überwiegend regierungstreuen Militär niedergeschlagen wurden. Das war 1849 ganz anders, als durch die Organisation von fast 500 demokratischen Volksvereinen demokratisches Gedankengut auch in die Armee hineingetragen wurde. Der Soldatenaufstand, der leider oft auf eine Verführung der Soldaten in den Bierhäusern reduziert wird, muss im Kontext und als Bestandteil einer tiefgreifenden Volks- und Bürgerrechtsbewegung, die hochpolitischen Charakter hatte und breite Gesellschaftsschichten erreichte, verstanden werden.
Im Übrigen war die von den „Achtundvierzigern“ angestrebte Wehrverfassung keinesfalls „orientierungslos“. Das Militär sollte nicht mehr Machtinstrument des Großherzogs und seiner Regierung sein, das vor allem zur Disziplinierung des Volkes eingesetzt wurde, sondern auf die Verfassung vereidigt werden.
Die demokratische Bewegung in Baden wurde schließlich durch ein Interventionsheer der reaktionären Fürsten niedergeschlagen. Damit wurde auch, und das war das eigentliche Ziel unseres Videos, jegliche Erinnerungskultur an die erste deutsche Demokratie- und Einheitsbewegung unterdrückt, was bis heute noch nachwirkt. Dabei können alle demokratischen Parteien ihre Traditionswurzeln in 1848/49 finden.
5. Brentano auf einen „redegewandten Schöngeist“ zu reduzieren und ihm das Logo „Freiheit und Demokratie“ zu verweigern, muss ich meinerseits als „vermessen“ erachten. Wie Sie der auf dieser Webseite veröffentlichten Kurzbiographie, die auch weitere Literaturangaben enthält, war er von seiner Studienzeit bis zu seinem Lebensende, insbesondere als Abgeordneter der Nationalversammlung der Paulskirche und als Abgeordneter des amerikanischen Repräsentantenhauses ein Vertreter genau jener freiheitlich-demokratischen Werte.
Für weitere Diskussionen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichem Gruß
Dr. med. Jürgen Dick MA